In der aktuellen Ausgabe meiner Wahlkreiszeitung „Dennys Knetschblatt“ habe ich einen Artikel über das Programm AGATHE veröffentlicht. Mit dem Programm AGATHE („Älter werden in der Gemeinschaft – Thüringer Initiative gegen Einsamkeit“) hat der Thüringer Landtag für 2021 rund 2,2 Millionen Euro bereitgestellt, um auf die Bedürfnisse älterer Menschen einzugehen. Sandra Fabian vom Verein „MitMenschen e.V.“ ist eine von fünf AGATHE-Beratungsfachkräften in Erfurt und zuständig für die Stadtteile Johannesplatz und Moskauer Platz. Das ausführlich Interview mit ihr können Sie hier nachlesen.
Können Sie sich kurz vorstellen?
Mein Name ist Sandra Fabian. Ich bin von Hause aus Sportwissenschaftlerin und habe viele Jahre in der betrieblichen Gesundheitsförderung gearbeitet. Seit September 2021 bin ich im Projekt Agathe eingestellt. Ich bin für den Johannesplatz und den Moskauer Platz zuständig. Ich bin zum einen in der Vermittlungstätigkeit und aufgrund meiner Ausbildung im Bereich Gesundheitsförderung aktiv.
Wie gestaltete sich ihre Arbeit in den ersten Monaten seit dem Start des Programms?
Offizieller Start des Projekts war der 1. Juli 2021. Wir haben in den ersten Monaten viel Netzwerkarbeit geleistet. Wir waren unterwegs und haben nach vorhandenen Unterstützungsangeboten, Gruppenangeboten für Senioren in den Stadtteilen gesucht. Denn wir können ja nur so gut beraten, wie gut wir über die existierenden Beratungsangebote informiert sind. Wir sind fast überall vorstellig geworden. Wir haben schon eine gute Zusammenarbeit mit den Wohnungsbaugenossenschaften initiieren können. Die können einschätzen, welchen Bedarf es bei den älteren Menschen gibt und stellen Räumlichkeiten bereit, die genutzt werden können.
Wir haben gute Kontakte zu den Kirchengemeinden, wo viele Menschen mit viel Engagement tätig sind. Es gibt viele andere soziale Träger, die in Projekten tätig sind und auf die verweisen wir sehr gerne. Ich habe schon oft verweisende Beratung genannt. Das ist das Kernstück unserer Arbeit. Wir als Beraterinnen sind nicht die, die mit den Senior:innen einkaufen gehen, aber wir sind diejenigen, die wissen müssen, wo man diese Hilfe erhält. Wenn jemand Hilfe braucht, beim Ausfüllen von Formularen, da kommt ein Schreiben von der Krankenkasse und man weiß nichts damit anzufangen, bei solchen Sachen vermitteln wir. Ein bisschen was können wir selbst tun, aber wenn Fachkenntnisse erforderlich sind, verweisen wir und holen Hilfe dazu, sodass unsere Kompetenz darin liegt, zu wissen, wo es Hilfe gibt, wer helfen kann.
Wir sind die Brücke zwischen den Hilfesuchenden und der Beratungsstelle. Der zweite Aspekt unserer Arbeit ist das Thema Einsamkeit. Wenn der Alltag bewältigt werden kann, aber man fühlt sich alleine und das ist bei den alleinlebenden Senior:innen der Fall. Die Kinder leben weit weg. Die familiären Strukturen sind nicht immer intakt. Da versucht Agathe den Senior:innen Angebote zu machen und zusammenzubringen, sei es das gemeinsame Kaffee trinken, der gemeinsame Spaziergang, je nachdem was der Wunsch ist. Diesen versuchen wir herauskriegen in Gesprächen mit den Seniorinnen. Das ist auch nicht mit einmal abgehakt. Wir führen mehrere Gespräche zum Kennenlernen und Vertrauen aufbauen. Oft kommt im Gespräch zur Sprache, dass die Leute allein sind und Kontakte suchen. Und wir begleiten die Leute zu den jeweiligen Angeboten und Beratungsstellen dorthin. Wir achten darauf, dass derjenige dort gut aufgenommen wird. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es vielen Menschen schwerfällt, diesen Schritt zu tun, weil zum Teil Schamgefühle bestehen. Wir bauen eine Brücke, die den Einstieg erleichtert.
Wie werden die Senior:innen aufmerksam auf sie?
Da fangen wir jetzt richtig an. Es wird mehrere Aktionen geben. Von der Stadt Erfurt wird es ein Info-Schreiben an alle Bürgerinnen geben, die die Kriterien für das Programm erfüllen: über 63 Jahre alt, alleinlebend und in den Stadtgebieten des Programms wohnend. Wir werden uns in der Vorweihnachtszeit in den Einkaufszentren platzieren und unsere Flyer in Arztpraxen, Physiotherapie-Praxen auslegen. Mit den Ärzten sprechen wir darüber hinaus über das Projekt und hoffen, dass die Ärzte auf unsere Angebote hinweisen. Was immer gegeben sein muss, ist, dass die Senior:innen sich selbst bei uns melden. Uns ist wichtig, dass sie diesen Schritt eigenständig tun. Und dann richten wir uns nach den Bedürfnissen der Seniorinnen aus.
Wer ist in den anderen Stadtgebieten für AGATHE zuständig?
Für den Bereich der ländlichen Ortsteile und den Erfurter Südosten (Melchendorf, Wiesenhügel, Herrenberg) ist der Jesus-Projekt Erfurt e. V. zuständig. Wenn jemand aus den anderen Stadtgebieten anfragt, nehmen wir das Anliegen entgegen. AGATHE ist zunächst ein Modellprojekt, das auf festgelegte Stadtteile begrenzt ist. Die Stadtteile wurden wegen der Demographie ausgewählt. Wenn das Förderzeitraum 2023 beendet ist, soll das Angebot dauerhaft für die ganze Stadt Erfurt ausgeweitet werden. Was sich konkret noch ergeben wird, hängt letztlich davon ab, wie erfolgreich wir das Programm durchführen. Ich sehe das recht optimistisch. Es ist viel Spielraum, etwas Gutes zu tun: einerseits im strukturellen Bereich wie die Vernetzung, das Schaffen von Angeboten und andererseits das Zusammenbringen von Hilfesuchenden und Helfenden.
Wie ist die Reaktion der Menschen auf das Projekt?
Sehr gut. Im Moment melden sich überwiegend die Hochbetagten ab 75 Jahren. Ich hatte letzte Woche die Möglichkeit, in einem Gespräch mit einem 91-jährigen dabei zu sein. Mich persönlich berührt es sehr, was Menschen im hohen Alter uns gegenüber offenbaren. Das zieht sich durch alle Gespräche durch, die wir bisher geführt haben. Alleine die Möglichkeit mit uns zu reden, tut den Menschen gut. Inhaltlich sind es Themen, dass die Leute sich Hilfe und Unterstützung bei alltäglichen Dingen wünschen wie beim Einkaufen helfen oder die Begleitung eines Arztbesuchs. Was es auch häufig gibt, dass es Unterstützung bei der Beantragung von Pflegegeld braucht.
Mit welchen Trägern bzw. Einrichtungen arbeiten sie zusammen?
Zum Beispiel Kirchengemeinden, Kontakt in Krisen e.V., Seniorenschutzbund, Seniorenclubs etc. Jetzt sind wir gerade dabei, über den Stadtsportbund Kontakte zu Vereinen aufzunehmen. In den letzten Monaten haben wir viel Zeit darauf verbracht, „Türklinken“ zu putzen. Wir haben einige ehrenamtliche Gruppen, die wir kontaktieren können, wie die Bürgerhilfe zum Beispiel, einer Initiative von MitMenschen e.V. Die engagierten Ehrenamtlichen gehen gemeinsam mit den Senior:innen spazieren, helfen oder verbringen einfach Zeit mit ihnen.
Welche Auswirkung hat die Pandemie auf Ihre Arbeit?
Diejenigen, die vor Corona in Gruppen organsiert waren und regelmäßig ihren Nachmittag verbracht haben, da gibt es durchaus Einschränkungen. Es gibt einige Gruppen, die sich aufgelöst haben und deren Möglichkeiten zu Treffen momentan eingeschränkt sind.
Welche Angebote im Bereich der Gesundheitsförderung initiiert?
Ich hatte ein gutes Gespräch mit dem Stadtsportbund. Wir werden nächstes Jahr in die Umsetzung gehen und Vereine dafür gewinnen, gezielter Senior:innen anzusprechen. Wir stellen uns das als eine Win-Win-Situation vor. Die Vereine können neue Mitglieder gewinnen und die Senior:innen von den niedrigschwelligen Angeboten (z.B. ein Spaziergang oder ein altersgerechtes Bewegungsprogramm) profitieren. Ich denke, mit den Erfurter Vereinen haben wir gute Partner gefunden.
Frau Fabian, vielen Dank für das Gespräch!
Das Programm AGATHE wird aus Mitteln des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie gefördert. Die Umsetzung des Projekts in Erfurt erfolgt im Auftrag der Stadtverwaltung Erfurt und wird durch das Amt für Soziales koordiniert.